ES REGNET KUNST, HALLELUJAH!
Anmerkungen zur online-Galerie und deren möglichen Beitrag zur Demokratisierung der Kunstszene
Was ist eine online-Galerie? (und was ist keine)
Um sich in der Unübersichtlichkeit der digitalen Kunstszene zurecht zu finden, sollte man zunächst verstehen, was eine online-Galerie überhaupt ist – und in welcher Hinsicht sie sich von der traditionellen Galerie (im Fachjargon: brick&mortar gallery) unterscheidet. Denn sie ist nicht, wie oft angenommen wird, eine offline-Galerie in digitaler Form, sondern agiert in mancher Hinsicht nach anderen Gesetzen als die der klassischen Galerienszene.
Eine b&m Galerie, die eine eigene website betreibt, ist deshalb noch keine online-Galerie. Ihre website ist nur ein Informationsforum unter anderen. Und eine Vereinigung klassischer Galerien wie artnet oder artsy, die ihren Mitgliedern ermöglicht, die Werke ihrer Künstler digital zu bewerben und zu verkaufen, ist auch keine online-Galerie. Auch hier gelten die analogen Spielregeln, während die digitale Präsenz nur den Kommunikationsradius erweitert.
Die online-Galerie unterscheidet sich von der traditionellen Galerie in erster Linie dadurch, dass sie keinen «materiellen» Wohnsitz hat. Natürlich muss die Firma irgendwo gemeldet sein, aber existieren tut sie nur digital. Das heisst in der Praxis: keine Mietkosten für Ausstellungsraum und Lager, keine teuren Messe-Stände, keine aufwendigen Vernissagen. Die laufenden Unkosten liegen damit unter denen der normalen Galerie, was sich in der wesentlich niedrigeren Verkaufskommission der meisten online-Galeristen niederschlägt. Davon profitieren sowohl Künstler wie Sammler.
Da die online-Galerie nicht über einen reellen Ausstellungsraum verfügt, kaufen ihre Kunden die Kunstwerke, ohne sie physisch gesehen zu haben. Das ist weniger riskant, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die photographische Präsentation ist meistens sehr umfangreich und qualitativ hochstehend. Einige online-Galerien bieten auch den Service einer virtuellen Insertion des Kunstwerkes in die Wohnung des potentiellen Sammlers. Für digitale Kunstwerke und NFT’s ist die Bildschirmpräsentation ohnehin ausschlaggebend. Und als letztes Ressort bieten viele online-Galerien eine Rückgaberecht, wenn das Bild nicht den Erwartungen des Käufers entspricht.
Trotzdem beeinflusst diese indirekte Präsentation das Kaufverhalten in dem Sinne, dass der überwältigende Anteil der online verkauften Kunstwerke in einem niedrigeren Preissegment (< € 10’00) angesiedelt ist. Die wenigstens Kunstkäufer riskieren, einen höheren Betrag auszugeben für ein Werk, das sie nicht in natura gesehen haben. (Diese Zurückhaltung spielt allerdings nicht mehr, wenn der Sammler bereits ein Werk vom gleichen Künstler besitzt.)
Ein weiterer essentieller Unterschied liegt in der Anzahl der Kunstschaffenden, die bei der Galerie unter Vertrag sind. Die klassische Galerie vertritt im Primärverkauf eine beschränkte Anzahl von etwa dreissig bis höchstens hundert handverlesenen Künstlern, die der Galerie vertraglich verpflichtet sind. Dagegen präsentiert auch eine kleine online-Galerie mindestens tausend Künstler, während die grossen Portale Zehntausende Kunstschaffende ausstellen können. Das heisst, dass die Auswahl für den Sammler unverhältnismässig viel grösser ist als bei einer b&m Galerie.
Auch in ihrer geographischen Austrahlung unterscheidet sich die online-Galerie wesentlich von ener regional stationierten brick&mortar Galerie. Zwar haben sich die Kunstmessen weltweit etabliert, aber sie bleiben einer kleinen Elite vorbehalten, die sich die exorbitanten Standpreise und teuren Kunsttransporte leisten kann. Die online-Galerie dagegen erreicht ihr Publikum weltweit ohne speziellen finanziellen Aufwand und bietet somit dem Sammler eine globale Auswahl an Kunst, und dem Künstler ein weltumspannendes Forum für seine Arbeit.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die online Galerie im Vergleich zur traditionellen Galerie für den Sammler leichter zugänglich ist, eine unvergleich viel grössere und internationalere Auswahl bietet und im Schnitt unter den gängigen Kunstmarktpreisen liegt. Viele online-Galeristen machen deshalb geltend, dass sie sich für die Demokratisierung der Kunst engagieren, indem sie es einer sehr grossen Anzahl von Künstlern ermöglichen, ihre Werke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, gleichzeitig die Schwellenangst beim Käufer abbauen und einen weiteren Kundenkreis erreichen, als es einer traditionellen Galerie möglich wäre.
Welche Arten von online-Galerien gibt es?
Grundsätzlich muss man zwei Arten von online Galerien unterscheiden: die kuratierte online-Galerie, die nach dem klassischen Prinzip des Zwischenhändlers (Galeristen) funktioniert, und die «direkte» online-Galerie, die den persönlichen Kontakt zwischen Künstler und Sammler in den Vordergrund stellt, wobei die Galerie eigentlich nur als Werbeportal fungiert - also eine Art linked-in für Künstler.
Bei der kuratierten online-Galerie kann der Künstler gratis ein account eröffnen und seine eigene Künstlerseite nach den technischen und ästhetischen Vorgaben der Galerie gestalten. Das Urheberrecht der ausgestellten Werke bleibt beim Künstler. Verkauf und Versand der Kunstwerke werden über die Galerie abgewickelt. Bei jedem Verkauf zahlt der Künstler der Galerie eine Kommission, die üblicherweise bei 30-40% liegt. Die Zahlung wird auf ein Sperrkonto der Galerie geleistet, so dass der Künstler erst dann ausgezahlt wird, wenn der Sammler das gekaufte Werk in gutem Zustand erhalten hat.
Die direkte online Galerie dagegen verlangt von den auf ihrer website ausgestellten Künstlern eine bescheidene «Mietgebühr» für die Nutzung des Portals. Dafür verzichtet der Betreiber auf eine Verkaufskommission. Der Ertrag des verkauften Kunstwerks bleibt zu 100% beim Künstler. Dieser muss sich jedoch selbst um alle Verkaufsmodalitäten und den Versand des Kunstwerkes kümmern.
Beide Formen haben ihre Vor-und Nachteile, und inzwischen gibt es auch eine Anzahl hybrider Ansätze. Sowohl Künstler wie Sammler sollten sich deshalb im Vorfeld möglichst genau informieren und sich auch über die eigenen Bedürfnisse im klaren sein, bevor sie sich für eine der Varianten entscheiden.
Wie beurteilt man die Qualität einer online-Galerie?
Für die kuratierte online-Galerie kann die Frage im klassisschen Sinne beantwortet werden: eine konventionelle Galerie ist so gut wie ihr Galerist – und eine online-Galerie ist so gut wie ihre Kuratoren. Wenn Sie nur «was Nettes für übers Sofa» wollen, brauchen Sie keine Beratung. Aber wenn Sie Kunstwerke suchen, die die Gestaltung und Atmosphäre Ihrer Wohnung mitprägen, Ihr Lebensgefühl ausdrücken und/oder verbessern, Sie emotionell und intellektuell berühren und anregen und Ihren Horizont erweitern sollen, dann führt Ihr erster Weg bei der online-Galerie zur Seite «über uns» («about» oder «about us») und dort zu den Kuratoren. Je besser die Ausbildung der Kuratoren und je grösser ihre Erfahrung, desto besser wird die Beratung der Sammler einerseits und der Künstler anderseits sein. Lassen Sie sich nicht von leerem Geschwätz über «unser internationales Kuratorenteam» oder «unseren Artdirector» etc. beirren. Die existieren nur in der Fantasie des Providers. Ein professioneller Kurator wird für seine/ihre Arbeit bezahlt, übernimmt die Verantwortung dafür und möchte natürlich auch die verdiente Anerkennung ernten. Bei seriösen online-Galerien werden deshalb sowohl hauseigene- wie Gastkuratoren persönlich vorgestellt: mit Namen, Photo und genauer fachlicher Qualifikation. Alles andere können Sie getrost vergessen.
Die Kuratoren sind verantwortlich für die Vorauswahl und Klassifizierung der Kunstwerke, die über die Galerie verkauft werden sollen. Auch bei online-Galerien, die im Prinzip allen Künstlern offenstehen, wird hinter den Kulissen kräftig vorsortiert. In Anbetracht der Flut dilletantischer, demagogischer und pornographischer Erzeugnisse, mit denen die Galerien überzogen werden, ist das auch dringend nötig. Werke mit pornographischem Gehalt etwa dürfen Kindern nicht frei zugänglich sein – eine strenge Kategorisierung ist deshalb schon aus legalen Gründen unvermeidlich.
Kundenberatung ist eine weitere wichtige Aufgabe der Kuratoren. Angesichts der grossen Anzahl der ausgestellten Kunstwerken braucht es viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, um die richtigen Künstler und Sammler zusammenzubringen. Auch wenn die meisten online- Galerien heute über halbwegs funktionsfähige Filter verfügen, ist der potentielle Kunstsammler mit der Fülle des Materials manchmal überfordert. Eine seinen persönlichen Wünschen angepasste Vorauswahl kann da sehr hilfreich sein.
Bei der direkten online-Galerie fällt diese Beratung natürlich weg, und diese Form ist deshalb eher geeignet für erfahrene Sammler, die keinen Rat brauchen, oder abenteuerliche Geister, die ihre eigenen Erfahrungen machen wollen und einen eventuellen Fehlkauf verkraften können. Der Bonus ist der direkte Kontakt zum Künstler und eventuell ein günstigerer Preis durch das Wegfallen der Galerie-Kommission.
Dieser letzte Vorteil kann allerdings wieder zunichte gemacht werden durch die sehr hohen Versandkosten, die beim individuellen Transport anfallen können. Während die grossen online-Galerien über eigene Versandabteilungen verfügen, die in ihrer Position als Grosskunden die Speditionspreise massiv drücken können, hat der einzelne Künstler diese Möglichkeit natürlich nicht. Da der Transport im allgemeinen vom Kunstkäufer bezahlt wird, tut dieser gut daran, sich vorher genau zu informieren, ob die Versandkosten im Kaufpreis inbegriffen oder ob da noch erhebliche Zusatzkosten zu erwarten sind.
Die Transportfrage stellt sich auch für den Künstler. Für Fotografen, Zeichner, Grafiker, Miniaturen-Maler oder digitale Künstler, die kleinformatige und leichtgewichtige Werke verschicken, macht es durchaus Sinn, auf den direkten Verkauf über eine entsprechende online-Galerie zu setzen. Versandprobleme wird es für sie nicht geben, und die Speditionskosten sind im Verhältnis zum Verkaufspreis der Kunstwerke durchaus akzeptabel.
Nicht so für Bildhauer und Maler grossformatiger Werke, die sich mit schwindelerregenden Transportkosten und undurchsichtigen Verpackungs-, Versicherungs- und Zollvorschriften herumschlagen müssen. Das gilt vor allem für transatlantische Transporte. Für international agierende Künstler mit schwergewichtigen, empfindlichen oder sperrigen Werken kann es deshalb sowohl finanziell wie auch nervlich von Vorteil sein, den Transport über die Galerie abzuwickeln.
Weitere Kriterien für die Beurteilung einer online-Galerie sind die Präsentation der website und die technische Funktionalität des Portals. Dies gilt in gleichem Masse für die kuratierte Galerie wie für die direkte Form. Eine geschmäcklerische Präsentation mit schwarzem background, Rähmchen oder Trauerränder um die Photos, Schleier über die Banner und sonstigem überflüssigeù Schnickschnack sollte schon auf den ersten Blick zur Vorsicht mahnen. Die künstlerische Qualität der zum Verkauf gebotenen Werke könnte entsprechend sein.
Grobe technische Mängel sind ebenfalls ein Alarmzeichen. Wenn Bilder nicht vernünftig aufgeladen oder gelöscht werden können, Filter und interne Suchmaschinen nicht funktionieren und Texte nur in dadaistischer Übersetzung zu lesen sind, sollten Sie damit rechnen, dass Zahlungsverkehr und Versand ebenso chaotisch ablaufen. Probieren Sie aus und vergleichen Sie – das kann Ihnen nachher viel Ärger ersparen
Legale Aspekte und die schwarzen cyber-Schafe
Grosse Skandale, wie man sie aus der traditionellen Kunstszene kennt, sind im Digitalbereich (noch) nicht bekannt. Das mag teilweise daran liegen, dass die legale Situation im world wide web nach wie vor ziemlich chaotisch ist und zweifelhafte Praktiken dort eher toleriert oder gar nicht erst bemerkt werden.
Auf jeden Fall tut der Sammler gut daran, sich möglichst umfassend abzusichern. Ein vom Künstler unterzeichnetes Zertifikat (Certificate of Authenticity, COA) ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil des Kunstkaufes. Neben dem Verkaufsdatum, dem Namen des Künstlers und dessen Unterschrift sollte es auch den Titel und das Entstehungsjahr des Kunstwerkes enthalten, dazu die verwendete Technik, die Abmessungen sowie ein Photo des Werks. Mit dem Aufkommen der NFT (non fungible token) und der Blockchain Sicherung steht dem Sammler ein weiteres Instrument zur Verfügung, mit welchem die Provenienz des Kunstwerkes fälschungssicher nachgewiesen werden kann.
Obwohl der Laie wahrscheinlich in erster Linie Schwierigkeiten im Zahlungsverkehr befürchtet, sind die meisten online-Galerien gerade auf diesem Sektor vernünftig organisiert. Persönlich hatte ich in fünfzehnjähriger Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von online-Galerien nie finanzielle Probleme. Zahlungen werden korrekt und nachprüfbar über Sperrkonti abgewickelt. Devisenkurse entsprechen der Bankennorm. Die Höhe der Vermittlungsgebühr liegt fast überall korrekt um 35%. Mir ist nur eine einzige online-Galerie bekannt, die ihren Künstler eine überrissene Kommission von 50% berechnet. Einige Kollegen melden Unredlichkeiten in der Auszahlung, wobei meistens mit der Warenumsatzsteuer gemauschelt wird. Die Galerien ihrerseits beklagen sich darüber, dass einige Künstler versuchen, die Galerie-Kommission zu umgehen, indem sie die Kunden direkt kontaktieren und ihnen einen billigeren Deal vorschlagen. Streitereien mit der Versicherung kommen vor, wenn ein Kunstwerk auf dem Transport beschädigt wurde. Aber diese Art von Reibereien sind das täglich Brot eines jeden Galeriebetriebs und nur bedingt typisch für das online System.
Das gilt auch für allgemeine Ethik und Transparenz, die bereits im analogen Kunstmarkt durch Abwesenheit glänzen. Da dürfte auch im Digitalbereich kurzfristig keine Verbesserung zu erwarten sein. Solange der Finanz-Tüv für Sponsorengelder nicht eingeführt ist, wird die Kunstszene, analog wie digital, weiterhin zu einem grossen Teil mit toxischem Geld finanziert werden, und das steigende Interesse an den Krypto Währungen dürfte die Situation noch undurchsichtiger machen. Das ist aber ein allgemeines Problem des libertären Finanzmarkts und nicht spezifisch für die online-Galerie.
Dagegen ist die bereits erwähnte Vorspiegelung falscher Tatsachen im kuratorischen Bereich schon fast ein Standardärgernis in der online Kunstszene. Wenn der Betreiber einer Plattform klarstellt, dass er keinerlei kuratorische Verantwortung übernimmt, sondern im Gegenteil Sammler und Künstler vollen Verhandlugsspielraum lässt, so ist das absolut legitim. Aber wenn eine online-Galerie explizit behauptet, sie würde nur kuratierte, das heisst fachlich abgesegnete Kunst verkaufen, obwohl sie von einem Team mit ausschliesslich technischem oder kaufmännischem Hintergrund betrieben wird, das gar nicht die professionelle Kompetenz hat, irgendetwas zu kuratieren, dann ist das schon eher fragwürdig.
Die kunstlerische Qualität ist dann auch danach. Was von diesen Galerien propagiert wird, ist meistens reine Kaufhauskunst. Darunter versteht man die Reihenproduktion eines immer gleichen, populären Sujets, das vom Künstler in grosser Quantität und Geschwindigkeit angefertigt wird. Beliebt sind zum Beispiel maritime Szenen, hübsche Mädchen oder süsslich Abstraktes.
Bilder «im Stile von» gehören auch in dieser Kategorie. Bestseller sind second-hand Picassos, oder Werke à la Lichtenstein (auf Grossformat aufgeblasene Comicfiguren), Opalka (hübsch kolorierte Ziffern oder Buchstaben), und Hockney (swimmingpools). Wohlverstanden: diese Praxis ist legal. Es handelt sich nicht um Fälschungen oder Kopien, und die Künstler signieren korrekt mit dem eigenen Namen. Gleichwohl sollte dem Käufer klar sein, dass diese Nachahmer-Kunst niemals eine Wertsteigerung erfahren wird, da ihr das wichtigste Kriterium für künstlerische Qualität abgeht: die Orginalität.
Das wohl häufigste «Kavaliersdelikt» der online-Galerien ist die Manipulation der Suchmaschinen in der Schlacht um digitale Sichtbarkeit. In den Urzeiten des Internets hatte das noch eine humoristische Komponente, weil die Algorithmen hauptsächlich auf sexuell gefärbte Begriffe programmiert waren. Ich weiss nicht wie oft meine sittlich völlig unbedenklichen abstrakten Werke mit tags wie «sexy» oder «Viagra» versehen wurden. Inzwischen sind die Methoden weniger plump, aber nicht unbedingt harmloser. So hatte sich etwa eine online-Galerie monatelang als meine «offizielle» Galerie ausgegeben, die meine Werke «exklusiv» verkaufen würde – was eine faustdicke Lüge war. Als Resultat wurden potentielle Käufer, die meinen Namen bei google eingaben, direkt zu dieser Galerie geleitet, was meine anderen Galerien und Agenturen – zurecht – als unlauteren Wettbewerb betrachteten und was mir viel Ärger eingetragen hat.
Die gleiche Galerie betrieb auch ein ästhetisches Gleichschaltungsprogramm, in dem die Photos ihrer Künstler von einem «Designer» überarbeitet wurden, der zum Beispiel aus Photos von Skulpturen alle Schatten herauskopierte. Das Ergebnis kann man sich vorstellen. Solche Verletzungen des Urheberrechts kommen öfters vor. Das ist nicht unbedingt böser Wille, sondern meistens Inkompetenz. Das Aufkommen der NFT’s wird die Auseinandersetzung um das copyright noch verschärfen, bis die Lage gesetzlich geregelt ist.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zur sogenannten «vanity gallery». Das ist zwar keine online-Galerie, aber da diese Art von Unternehmen ausschliesslich (und sehr aggressiv) online rekrutiert, möchte ich sie hier doch kurz erwähnen. Unter vanity gallery versteht man eine Galerie, die ihr Geld nicht durch den Verkauf von Kunst verdient, sondern die Künstler für «Dienstleistungen» (zum Beispiel Ausstellungen, Kunstmessen, newsletters an Kunstsammler etc.) bezahlen lässt. Der Künstler muss dabei oft Vorauszahlungen von tausend Euro aufwärts leisten, den Transport für Ausstellungen selbst bezahlen, und oft verrechnet die Galerie auch noch eine Kommission. Das alles ohne jede Garantie eines Verkaufs oder irgend eines anderen Vorteils für den bedauernswerten Künstler. Ein prima Geschäft für die Galerie – aber ganz sicher nicht für den Künstler!
Die Zukunft der online-Galerie in der globalen Kunstszene und ihre mögliche Rolle im Demokratisierungs Prozess
In einer Zeit, in der die Demokratie von vielen Seiten unter Beschuss steht, haben wir mehr denn je Grund, uns über die Bedeutung der Kultur für unsere demokratische Weltordnung Gedanken zu machen. Dazu gehört aber auch, dass wir endlich anfangen, die Korruption und Unterwanderung demokratischer Prozesse in den eigenen Reihen anzuprangern und zu bekämpfen.
Wer über die Zukunft und die Notwendigkeit einer Demokratisierung der Kunstszene reden will, muss sich deshalb zunächst über die Rolle der Sphagistik in der Kunstgeschichte Gedanken machen. Wie der geneigte Leser natürlich weiss, ist die Sphagistik (von griechisch «sphage», die Schlachtung) die imaginäre Wissenschaft der Verlierer, begründet vom ebenfalls imaginären Dr. Korbinian Irlböck, der seine Existenz wiederum dem (meines Wissens durchaus reellen) Schriftsteller Carl Amery verdankt. Der Leitsatz der Sphagistik ist, dass die Geschichte von den Gewinnern geschrieben wird und dass sie anders lauten würde, wenn auch die Verlierer zu Wort gekommen wären. Nirgends ist das wahrer als in der Kunstgeschichte.
Im Vergleich zur allgemeinen Geschichtsschreibung ist die Bedeutung der Sphagistik in der Kunst unverhältnismässig hoch. Bis tief ins zwanzigste Jahrhundert hinein fielen ihr 50% aller Künstler von vorneherein zum Opfer – nämlich alle Frauen. Wieviele Meisterwerke der Menschheit verloren gegangen sind auf Grund der institutionellen Machomaxime, dass Frauen ihre Kreativität gefälligst aufs Kinderkriegen beschränken sollten, werden wir nie wissen. Die Künstlerinnen sind tot und die Werke vernichtet - wenn sie denn in Anbetracht der hoffnungslosen Lage überhaupt je geschaffen wurden.
Aber auch die männlichen Kollegen sind vor der Sphagistik nicht gefeit. Wenn es nach dem Willen der herrschenden Kulturpäpste gegangen wäre, wären uns etwa die Werke eines Vincent van Gogh wohl kaum erhalten geblieben. Die Reihe der Verlierer ist endlos, und wir kennen nur die Spitze des Eisbergs, nämlich die Künstler, die posthum wiederentdeckt wurden. Alle anderen sind endgültig vom schwarzen Loch der Sphagistik verschluckt.
Das hat sich in unseren Tagen nicht wesentlich geändert. Dass «the state of the art» in unserem unaufhaltsam in die Implosion abrutschenden kapitalistischen System entsprechend dekadente Züge annimmt, ist nicht gerade eine bahnbrechende Erkenntnis. Die Abhängigkeit des Kunstmarkts von toxischem Geld, die elitäre Vermarktung von Kunst als Statussymbol für gutsituierte Bildungsbürger einerseits und bildungsresistente Oligarchen andrerseits, obszöne Auktionspreise für künstlerisch wertlosen Ramsch, hochsubventionierte (und einträgliche) Blockbuster Veranstaltungen à la Disneyland, die Übermacht der grossen mainstream Galerien und Mäzene und der daraus resultierende finanzielle Notstand unabhängiger Künstler sind nur ein paar Aspekte dieser unerfreulichen Entwicklung.
Unter diesen Umständen ist für einen Künstler, der nicht bereit ist, sich dem herrschenden Kunstmarkt zu unterwerfen, die Chance überdurchschnittlich hoch, als «Verlierer» zu enden. Die Qualität seiner Arbeit spielt dabei kaum eine Rolle. Vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall: je ausdrucksstarker, origineller, eigenständiger und visionärer der Künstler, desto grösser die Gefahr der Marginalisierung seines Werkes durch das Kunstestablishment.
Die mangelnde Kompetenz und Integrität der Kunstfunktionäre ist weitgehend verantwortlich für die aggressive Ablehnung der zeitgenössischen Kunst durch einen grossen Teil der Bevölkerung. Sie basiert auf Jahrhunderte von Korruption, Rassismus, Sexismus, Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch der herrschenden Funktionäre - auf Kosten der Künstler, der Kultur und der Gesellschaft. Mit einer vergleichbaren Kriminalgeschichte können in unseren Breitengraden sonst nur Kirchen und Banken aufwarten. Der Ruf nach einem fairen, demokratischen Umgang mit Kunst und Künstlern ist deshalb mehr als berechtigt - und längst überfällig.
Wie eine solche demokratische Kulturszene auszusehen hätte, darüber herrscht in den wichtigen Punkten weitgehend Einigkeit. Sie sollte geopolitisch mehr Gerechtigkeit für Künstler und Kultur garantieren, ihr elitäres Ghetto aufgeben, einem grösseren Publikum zugänglich gemacht und gezielt im bürgerlichen Alltag eingebunden werden, dem Künstler mehr Unabhängigkeit von konservativen Kultur-Institutionen und ein solides Grundeinkommen bieten und von toxischen Sponsoren Gelder und Geldwäscherei abgekoppelt werden. Soweit die Theorie.
Wie diese praktisch umgesetzt werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. Viele Pilot-Projekte sind bereits im Umlauf. Am meisten Aufsehen erregt hat dabei sicher die vom Kollektiv ruangrupa kuratierte Documenta 15, die ausgerechnet und absurderweise an rassistischen Vorurteilen gescheitert ist – genau die gleichen, altbekannten Verhaltensmuster, mit denen man in Kassel eigentlich aufräumen wollte.
Der Versuch, Kunst zu «popularisieren» oder zur Touristenattraktion zu machen – Bosch als Trickfilm, Van Gogh als Kaleidoskop, gefällige Son-et-Lumière Vorstellungen und ähnliche Mätzchen – dürften der Sache auch nur bedingt dienlich sein. Zwar bringt man so kurzfristig grosse Menschenmengen in die Museen, aber die sind genau so schnell wieder weg, sobald es etwas anspruchsvoller wird. Der kleinste gemeinsame Nenner ist niemals ein guter Ausgangspunkt – auch nicht in der Kunst.
Das digitale Kunst als solche die Szene besser machen wird, dürfte auch eher Wunschdenken sein. Was aktuell an NFT’s verkauft wird ist dilletantisches Photoshop Gebastel und hat bestenfalls einen finanziellen Spekulationswert, von der kitschigen AI-Kunst gar nicht zu reden. Zwar sind die grossen Künstler des metaverse mit Sicherheit schon unter uns und im Moment wahrscheinlich gerade daran, ihren ersten Computer zu demolieren. Mit der Weiterentwicklung des 3D-Druckers wird es bald möglich sein, mit einer in Europa erstellten Datei eine physische Ausstellung in Australien zu «drucken», ohne dass teure und umweltbelastende Transporte nötig werden. Damit wird auch die Blockchain Sicherung seinen wirklichen Sinn erhalten. Aber was auch immer die Zukunft der digitalen Kunst für uns bereit hält, es ändert nichts an der grundsätzlichen Spannung zwischen Produzent (Künstler), Verteiler (Museen, Galerien) und Konsument (Museumsbesucher und Sammler).
In diesem Rahmen also sollte das Phänomen online-Galerie und ihre mögliche Zukunft gesehen werden. In der Tat erfüllt sie viele demokratische Forderungen: Sie bietet einer sehr grossen Anzahl von Künstlern jedwelcher Nationalität Zugang zum Kunstmarkt und ist gleichzeitig einem globalen Publikum direkt zugänglich. Preislich liegt sie (noch) weit unter dem traditionellen Markt. Sie setzt vor allem auf Offenheit - für alle Nationalitäten, Ideologien und Gender Ausrichtungen. Die direkte Form der online-Galerie geht noch einen Schritt weiter und möchte unser marodes Kultursystem umgehen, indem sie auf Zwischenhändler und Kuratoren ganz verzichtet und auf die Subjektivität der Kunst setzt.
Ob der Kunstbetrieb ohne Fachleute auskommt, ist allerdings fraglich. Der radikale Abfall der künstlerischen Qualität im online Betrieb ist bereits heute ein echtes Problem, und das Argument, dass die Qualität eines Kunstwerks eben «Ansichtssache» und «objektiv nicht bewertbar» sei, ist an sich schon ein Zeichen von Unwissenheit. Auf keinem Gebiet ist der ohnehin zweifelhafte Kalenderspruch «Qualität setzt sich immer durch» weniger wahr als im Kunsthandel. Was sich immer durchsetzt, sind Pornographie, Kitsch und seichte Dekoration. Anspruchsvolle, sperrige, substantielle Kunst braucht die Rückendeckung von Fachleuten, damit sich interessierte aber unsichere Laien zuverlässig informieren können – wie sie es auf jedem anderen Gebiet vernünftigerweise auch tun würden. Demokratische Kunst heisst: Kunst für alle, und nicht: Ramsch für alle. Daran sollten wir uns halten.
Trotzdem ist in meinen Augen die direkte online Galerie die zukunftsträchtigste Variante der Kunstvermittlung, weil sie die einzige ist, die die Machtstrukturen der aktuellen Kunstszene grundsätzlich in Frage stellt. Wenn sie es schafft, sich mit einer neue Generation von Sachverständigen zu verbünden, die sich nicht parasitär auf Kosten der Künstler bereichern oder profilieren, sondern ihr Wissen in den Dienst der Kultur und der Gesellschaft stellen will, dann könnten wir endlich ernsthaft anfangen, über demokratische Kunst zu reden/
Auch wenn die Zukunft der online-Galerie gehört, werden wir auf die physische Präsentation von Kunst nicht verzichten wollen. Es ist deshalb anzunehmen, dass sich mittelfristig hybride Formen des Kunsthandels entwickeln werden, wobei man nur optimistisch hoffen kann, dass sich in diesem Fall the best of both worlds durchsetzen wird. Auch wenn es gerne vergessen wird: Kunst und Kultur sind keine Spekulationsware für Superreiche, sondern ein organischer Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft. Es ist höchste Zeit, dass sie endlich als solcher wahrgenommen wird.
© VAS Juliet Vles